One by One Deutschland

Abschlussbericht Konferenz 2004

Vom 8. bis 12. November 2004 führte One by One im Wannsee-Forum in Berlin eine Konferenz zum Thema “Erinnerung und Verantwortung” durch.

Die Konferenz fand eine große Resonanz, mehr als 60 Teilnehmer aus Deutschland und den USA besuchten die einzelnen Veranstaltungen.

Nach der Eröffnung der Konferenz durch Martina Emme hielt Hilde Schramm den Eingangsvortrag. Sie ist habilitierte Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin. Sie wurde in diesem Jahr mit dem Moses-Mendelsohn-Preis des Landes Berlin ausgezeichnet. Hilde Schramm ist Vorsitzende des Vereins KONTAKTE, der sich für ehemalige Zwangsarbeiter und andere NS-Opfer in Osteuropa einsetzt, die keine Leistungen von der Bundesstiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” erhalten können und sie ist Beirätin der Stiftung “Zurückgeben”, eine Stiftung, die jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft fördert.

Am Abend des ersten Tages sprach Robert Hilliard, Professor für Kommunikationswissenschaft in Massachusetts, USA über seine Erfahrungen als 19-jähriger Soldat mit dem Umgang der amerikanischen Militäradministration mit den Häftlingen der Konzentrationslager nach der Befreiung 1945 in St. Ottilien in Bayern. Er schilderte, wie einfache Soldaten, dem Gebot der Menschlichkeit folgend, illegal die Häftlinge mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Medikamenten versorgten, damit sie überleben konnten. An diesem Abend wurde deutlich, wie wichtig es in jeder Gesellschaft ist, Verantwortung zu übernehmen und Zivilcourage zu zeigen, wenn Menschenrechte verletzt werden und die “Gesellschaft” sich gleichgültig dem Schicksal von Menschen gegenüber verhält. Robert Hilliard hat mit seinen Kameraden ein Beispiel für Mut und Menschlichkeit gegeben. aus R.Hilliard “ Von den Befreiern vergessen”

Im Anschluss daran berichtete Zella Brown, 1947 in einem Camp für Displaced Persons in Heidenheim geboren, über ihre Erlebnisse, als sie vor einigen Jahren das erste Mal wieder nach Heidenheim kam.

An den folgenden drei Vormittagen fanden Mini-Dialoggruppen statt, in denen die Teilnehmerinnen in einen intensiven Dialog zur Thematik der Konferenz gingen. Diese Mini-Dialoggruppen fanden nach dem Muster der “Berliner Sonntagstreffen” und unter Anleitung von One-by-One-Facilitators statt. An den Nachmittagen und Abenden gab es Workshops und andere Veranstaltungen.

Szabine Adamek: Auf der Suche nach der Trauer - Zur politischen Relevanz eines Gefühls

Beinahe sechzig Jahre lang verzehrt nicht endender Schmerz die Lebenskräfte vieler Überlebender, ist Trauer deren vorherrschendes Lebensgefühl, ereignen sich heute - nahezu unbemerkt - unzählige menschliche Katastrophen. Für diese zu sensibilisieren und den Blick für eine “Politik der Anerkennung” zu öffnen, war Gegenstand dieses Workshops.

Eugen Kahl, Frank Goehrlich: Gefährdende Hilfe - Erfahrungen in Frankfurt/Main 1938-45

Eugen Kahl berichtete aus eigenem Miterleben, wie seine Eltern, Dr. med. Fritz Kahl und Margarete Kahl, halfen zahlreiche jüdische Patienten versteckten, mehrere von ihnen und konnten sie zur Flucht verhelfen. Frank Goerlich berichtete aus einem Forschungsprojekt zu diesem Thema.

Petra Schneiderheinze, Regine Sarstedt: Unsere Geschichte(n) in Ost und West - was bedeutet sie für unser Zusammenleben?

Manchmal kommen im Gespräch zwischen Ost- und Westdeutschen unterschiedliche Prägungen in zwei politischen Systemen zur Sprache, Enttäuschungen und Kränkungen werden sichtbar. Entzweien sie uns oder können sie uns auch bereichern, wenn wir uns ihnen im Gespräch stellen. Ähnlich wie in zwei Workshops im Frühjahr diesen Jahres wurde deutlich, dass diese Problematik auch in Hinblick auf die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte in Deutschland ist.

Felicitas von Aretein: Die Enkel des 20. Juli 1945

Anlässlich der 60. Wiederkehr des Attentats auf Hitler erscheinen erstmals Interviews mit und Porträts von Enkeln der vom “Volksgerichtshof” verurteilten und hingerichteten Widerständler. F. v. Aretin ist Enkelin des am Attentat auf Hitler maßgeblich beteiligten Generalmajors Henning von Tresckow. Sie gibt einen Einblick in die “Geschichte von Widerstandskämpfern und ihrer Familien “und in” das Schwiegen über den Widerstand und seiner Protagonisten” im Nachkriegsdeutschland.

Beate Bormann: Virtueller Stadtrundgang zu den Stätten des Widerstandes

Im Rahmen der Konferenz fand ein kleiner Workshop zum Thema “Zeugnisse des Widerstandes und ihre Geschichte” statt. Am Beispiel des Berliner Bezirkes Prenzlauer Berg sind hier einige Denkmale benannt worden. Es wäre schön, wenn es gelingt im Sommer einen Rundgang zu Stätten des Widerstandes zu organisieren und damit dieses Thema von einer anderen Seite noch- mals aufzugreifen.

Wolfgang Graeser: Topographie des Terrors - eine Besichtigung

Eine Gruppe von 12 Teilnehmern besichtigte den authentischen Ort der Gestapo und SS und des Reichssicherheitshauptamtes auf dem “Prinz-Albrecht- Gelände” von dem aus der Terror und das Morden organisiert wurde. Vor Ort gab es eine äußerst engagierte und kompetente Führerin in Frau Andrea Dech von der Stiftung Topographie des Terrors.

Beate Niemann: Der gute Vater - Film mit Aussprache

Geboren 1942, da war ihr Vater im Krieg. 1953 plötzlich große Aufregung in der Fa-milie, der Vater lebt, aber in einem DDR-Zuchthaus. Aufhebung des Urteils in West-Berlin, zum 2. Mal entnazifiziert, seine Bezüge als Polizist wurden der Mutter ausgezahlt bis zu seinem Tod 1972, in der Strafvollzugsanstalt Leipzig. Freigekauft konnte er nie werden, warum? Das wollte sie herausfinden, als sie 1997 in die Stasi-Akten ihrer Eltern einsehen konnte. Später fand sie das Buch “Serbien ist judenfrei” von W. Manoschek, das interessierte sie, in Belgrad war ihr Vater auch gewesen. Sie las von ungeheueren Verbrechen, an denen ihr Vater - ohne jeden Zweifel - direkt beteiligt gewesen ist. Seitdem forscht sie in den europäischen Archiven nach ihm, in den USA und in Israel. Herausgefunden hat sie seine Karriere in der Gestapo, seine “Kriegseinsätze” in verschiedenen europäischen Ländern, seine Beteiligungen an den Morden in den Ländern, in denen er gewesen ist. Sie stellt sich der Geschichte ihrer Familie. Durch die beiden Filme von Yoash Tatari ist sie öffentlich geworden. Der Film ist beim renommierten New York Festival am 30. Januar 2004 mit “Gold World Medals” worden.

Elisa Medina: Helping to Reconciliation from Politic Violence in Peru - One by One in Peru

Elisa Medina berichtete über die Situation in ihrem Land, in dem die Spirale von Gewalt auch in der Gegenwart nicht endet und über mögliche Ansätze, aus dieser Situation herauszukommen. Elisa Medina hat im vergangenen Jahr in Berlin an einer Dialoggruppe teilgenommen und versucht, das Modell des Dialogs, wie er in One by One geführt wird, in Peru zu initiieren. Sie ist auch sehr persönlich betroffen, geht doch der Riss, der in Peru die Gesellschaft teilt, auch mitten durch ihre Familie.

“… und die Schuld, die bleibt” Am Donnerstag sahen einige einen Film, den der RBB am 9.November ausgestrahlt hatte. Es ging um einen ehemaligen rechtsradikalen Jugendlichen, der aus politischen Gründen zu 6 ½ Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Frank Lehmann kletterte mit vier anderen Anfang 1988 über die Mauer eines jüdischen Friedhofs in Berlin (Ost). Sie warfen Grabsteine um und grölten antisemitische Parolen. Die Jugendlichen werden gefasst, vor Gericht gestellt und verurteilt. Salomea Genin, Jüdin und während der Nazi-Zeit emigriert liest in der Zeitung von dem Urteil und ist entsetzt. “Fünfzehn- und Sechzehnjährige kuriert man nicht vom Antisemitismus, indem man sie so lange ins Gefängnis wirft, im Gegenteil, wenn sie da rauskommen, sind sie wirklich Antisemiten, während sie vorher vielleicht nur dumme Jungen waren.” Salomea Genin setzte sich für die Inhaftierten ein. Ihr ist es mit zu verdanken, dass sich Frank Lehmann mit seiner Tat auseinander setzte und auch daran ging, sich mit seiner Familiengeschichte zu befassen. Frank hat bei Sonntagstreffen von One by One davon berichtet.

Inge Franken, Martina Emme: Diskussionsrunde Ver-Antwortung wahrnehmen - Beispiel Schulbesuche: Motivation, Erfahrungen, Reflexion

Seit 1966 gibt es das Schulbesuchsprogramm von One by One, in den USA “speakers bureau” genannt. Teilnehmer/innen der Dialoggruppen haben sich dafür gemeldet., ihre Erfahrungen an Schüler/innen und Studierende weiterzugeben, bei dem sie Teile ihrer Lebensgeschichte oder die ihrer Eltern, resp. Großeltern mitteilen. Das One by One Prinzip ist dabei leitend: jeweils eine Person von der Opfer- und eine von der Täterseite sprechen gemeinsam. Es lässt sich dabei gut vermitteln, dass beide Seiten zusammengehören: die Erfahrung aus einer Überlebenden-Familie komplettiert die aus einer Täter-Familie; die Perspektive aus einer Widerstandsfamilie macht erst deutlich, was in einer Mitläuferfamilie (nicht) geschehen ist usw.

In einer Diskussionsrunde wurde Bilanz der bisherigen Erfahrungen mit den Schulbesuchen gezogen: hat sich unser “praktiziertes Gedenkmodell” bewährt? Wie dienlich ist es, familiäre Erfahrungen aus der NS-Zeit zu äußern? Was nehmen die SchülerInnen und Studierenden davon mit, was haben die LehrerInnen davon - und last, but not least: wie erleben die One by One SprecherInnen das Gespräch mit den jungen Leuten? Was bewegt sie, sich oft zum wiederholten Male persönlich mitzuteilen, und z.T. belastende Details in einer pädagogischen Situation preiszugeben?

Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer des Evangelischen Gymnasiums Neuruppin, des Evangelischen Gymnasiums Frohnau, der Stephan-Schule Moabit und der 1. Staatlichen Erzieherfachschule waren der Einladung gefolgt und berichteten von Ihren Erfahrungen, ebenso Sprecherinnen und Sprecher von One by One.

Die Party

Am Donnerstag abend fand traditionell das Konferenzfest statt. Eingeleitet wurde es durch eine Lesung Salomea Genins. Sie las einige Passagen aus ihrem demnächst erscheinenden Buch und wurde musikalisch begleitet von Karsten Troyke und Jens-Peter Kruse. Alle waren begeistert, und es ging nicht ohne Zugabe ab. Es war eine schöne Einstimmung auf das Fest mit besinnlichen, aber auch heiteren Texten und Liedern. Das Fest war nach den anstrengenden, arbeitsreichen Tagen eine schöne Möglichkeit zur Entspannung.

Der Letzte Tag

Der Freitagmorgen begann mit einem Gedenken an drei verstorbene Mitglieder von One by One. Es war eine sehr bewegende Stunde, in der wir uns noch einmal an Bina Gibson, Carola Domar und Marjorie Cohen erinnerten und alle drei noch einmal in unserer Mitte lebendig werden ließen

Bina Gibson 04.07.1920 - 22.01.2004

Carola Domar 17.12.1919 - 24.09.2004

Marjorie Cohen 29.08.1951 - 24.09.2004

Auschwitz - The Wound of the Knowledge

by Bina Gibson

Father, dearest, dearest Father
I've come to thank you
For giving me life, for loving me when I was small
I remember your lap
And I remember your wounds of the war
Which used to frighten me so much.
You played with me and my brother and you read us poetry
But then you went away
And the pain and the hurt began.
I couldn't write to you, I couldn't imagine
How you lived without us.
When I heart that they had killed you
I could not speak of it for thirty, for years.
This hurt was to deep for words
The wound of the knowledge of how you die.
This wound is shared by the whole mankind. -
They stripped you, held your naked body
The wound in your spine and the hole in your arm
For these wounds you had your German Cross of Honour
And then they forced you into the gas Chamber
Like long ago the witch in the children's fairy tale
Was pushed into the oven. - You, “Vati”, with your blue, blue eyes
And you're high fore head.
This is not possible - I want to scream out load
This can't be true, it simply can't be true.
You never knew me fully grown
Could not be proud of us -
Did not know of your grandchildren
Never lifted them, with your smile, onto your lap.
Now I am here to Thank you
To honour you and to love you.
I pray with others for those of good will
For, after all, we are part of each other.
Together, here, we have to say:
I forgive you; May God forgive you and me.
Forgive you what you did to them
Forgive me, for having hated you.
Here we have to learn to become man and woman,
People, who can love, who can forgive
People who will pray, who will work
So that we may become as God wanted us -
As he, His Image, made us

Im Anschluss an das Gedenken gab es erste kurze Gedanken zur Konferenz und ihren Ergebnissen. Einhellig wurde von den Teilnehmern eingeschätzt, dass es sehr intensive, arbeitsreiche Tage waren und jede® auch mit einem Gefühl nach Hause fahren konnte, dass diese Zeit für sie/ihn einen Gewinn darstellte.

Dank Gebührt an dieser Stelle dem Vorbereitungskomitee - Martina Emme, Petra Schneiderheinze und Gottfried Leich - für die immense Arbeit, die in Vorbereitung der Konferenz zu leisten war. Ohne sie wäre die Konferenz nicht ein solcher Erfolg geworden.

One by One Deutschland – Impressum